Intrigen und Ränkespiel im hohen Norden
Rache, Liebe und Leidenschaft im hohen Norden mit einigen
ungewöhnlichen Endungen und Wendungen prägen Lilja Sigurdadottirs Buch „Das
Netz“ mit einer nur äußerlich schwachen Frau als Hauptfigur. Denn wenn der
Leser Sonja kennenlernt, plant sie gerade, ein Kilo Kokain nach Island
einzuschmuggeln. Die junge Frau hat sich ihre Drogenkarriere nicht ausgesucht,
sondern wurde dazu gezwungen. Und sie braucht das Geld, um nach der Scheidung finanziell wieder auf die Beine zu kommen und
auch materiell dafür gerüstet zu sein, das alleinige Sorge- und Aufenthaltsrecht
für ihren kleinen Sohn zu erkämpfen.
Ihr Ex-Mann, ein wohlhabender Banker, der aber in einen
Finanzskandal verstrickt ist, ist unversöhnlich, seit er Sonja in flagranti
erwischt hat – und zwar mit seiner Kollegin Agla, einer Karrierefrau, ebenfalls
zentrale Figur des Bankskandals und energisch bestreitend, dass sie lesbisch
sein könnte.
Die Beziehung der beiden Frauen bringt einen zusätzlichen
spannenden Akzent in den Kriminalroman.
Sonja ist verliebt, sie will mehr als Lust und Leidenschaft. Agla trinkt, viel zu viel, um das laufende
Ermittlungsverfahren und ihre Gefühlsverwirrungen zu bewältigen. Benutzt sie
Sonja nur für einen erotischen Kick, während sie gleichzeitig vehement
bestreitet, eine „von denen“ zu sein?
Kein Wunder, dass Sonja, ohnehin
verwundbar, verletzt reagiert.
Die kleine, zierliche Frau, offiziell selbständig mit einem
Computerunternehmen und daher häufig auf Geschäftsreisen unterwegs, fühlt sich
mit ihren Schmuggelaktivitäten in einem Netz gefangen, das sich immer enger um
sie zusammenzieht. Gerade, weil sie erfolgreich ist in dem, was sie tut und immer
größere Mengen Kokain nach Island bringen soll. Sie erlebt, wie brutal die Welt
der Kartelle und der organisierten Kriminalität ist, und sie fürchtet, ihre
illegalen Aktivitäten könnten verhängnisvolle Folgen für ihren Sohn haben.
Mit dieser scheinbar zerbrechlichen und ebenso verletzlichen
wie verletzten Frau hat Sigurdadottir eine starke und vielschichtige Frau
geschaffen, auch wenn ich als Leserin gerne mehr erfahren würde, wieso Sonja
eigentlich überhaupt so erpressbar wurde. Sie ist offensichtlich intelligent,
aber sie scheint so gar keine berufliche Qualifikation zu haben, die ihr anderweitig den Weg aus der
finanziellen Misere ermöglicht. War sie immer nur ein trophy wife, ohne Ausbildung, hübsches Aushängeschild an
der Seite eines reichen Mannes?
Eine interessante Figur ist auch Agla – nicht unbedingt
sympathisch mit ihrer Trinkerei und ihren Ausflüchten, zu Sonja zu stehen, aber auf ihre Weise eine
entschlossene Kämpferin, die vielleicht den Kampf gegen den Alkohol, aber nicht
gegen die Männerwelt verlieren will und keinesfalls ein Bauernopfer sein will.
Eine weitere Handlungsebene bringt zusätzliche Dynamik ins
Spiel. Denn am Flughafen in Reykjavik arbeitet ein Zollbeamter, der mit 69
Jahren eigentlich schon längst im Ruhestand sein könnte. Doch zum Unwillen
seiner Vorgesetzten will er sich nicht in die Rente drängen lassen, sondern bis
zu seinem 70. Geburtstag weitermachen. Sein Leben scheint nur zwei Inhalte zu
kennen: Die Arbeit und seine Frau, die schwer dement ist und in einem
Pflegeheim arbeitet. Dem erfahrenen Zöllner fällt Sonja eines Tages auf, weil
sie einfach zu perfekt ist. Ein letzter
großer Coup für einen alten Mann?
Wie gesagt, die
Autorin sorgt immer wieder für neue Entwicklungen und Überraschungen und eigentlich hat man am Ende des Buches
noch manche Frage angesichts des Flechtwerks der Beteiligten, die noch auf
Antwort warten. Wie gut, dass „Das Netz“
laut Verlagsankündigung der erste Teil einer Triologie ist. Da kann man
gespannt auf die weiteren Entwicklungen sein.
Lilja Sigurdadottir, das Netz
Dumont Verlag, 2020
360 Seten, 10 Euro
978-3-8321-6519-2
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