Schweden-Krimi zu Gewalt gegen Frauen -"Flucht in die Schären"
Mina ist jung, blond und hübsch, hat einen kleinen Sohn und
lebt in einem schönen Haus in einer Villengegend. Doch das Leben der jungen
Frau ist alles andere als unkompliziert. Ihr Mann Andreis ist nicht nur in
Drogengeschäfte verwickelt, denen er seinen beträchtlichen Wohlstand verdankt,
er schlägt bei jeder Gelegenheit brutal zu. Doch Mina glaubt den
Versprechungen, dass er sie liebe und diesmal bestimmt zum letzten Mal
zugeschlagen habe. Allen Beschwörungen ihrer besorgten Eltern zum Trotz hält
sie zu Andreis.
Doch als Mina wieder
einmal krankenhausreif geprügelt wurde und womöglich nur dank eines anonymen
Anrufs beim Rettungsdienst den neuen Angriff des gewalttätigen Ehemanns überlebte,
lässt Staatsanwältin Nora Linde nicht locker. Die Leiterin der Behörde gegen
Wirtschaftskriminalität plant eine Anklage gegen Andreis – wegen Steuerhinterziehung,
nicht wegen der nicht nachweisbaren Drogengeschäfte. Sie hofft, dass Mina endlich gegen ihren Mann
aussagt und somit die Chancen für eine längere Haftstrafe steigen. Zusammen mit
der Polizistin Leila gelingt es ihr, Minas Vertrauen zu gewinnen und sie in
einem Haus für misshandelte Frauen auf einer Schäreninsel unterzubringen.
Andreis allerdings denkt gar nicht daran, Mina und seinen
Sohn einfach aufzugeben. Er setzt alles daran, Minas Aufenthaltsort ausfindig
zu machen, nachdem ihm seine brillante und skrupellose Verteidigerin eine
zügige Entlassung aus der Untersuchungshaft ermöglicht hat. Per Handy und SMS
terrorisiert er seine Frau auch weiterhin, schreckt vor nichts zurück, um seine
Frau zu finden. Für den Mann, der als
Kind mit seiner Familie aus dem bosnischen Bürgerkrieg geflohen ist, sind Frau
und Kind persönliches Eigentum. Mina mit aller Gewalt zurück zu holen, ist für
ihn auch eine Frage der Ehre.
Mit „Flucht in die Schären“ hat Viveca Sten einen spannenden
Krimi in bester Schwedentradition geschrieben – gesellschaftliche Probleme sind
Teil des Plots, ob es sich nun um traumatisierte Migranten handelt, deren
Integration in die schwedische Gesellschaft nicht wirklich vorangetrieben
worden ist, archaische Ehrbegriffe,
Gewalt gegen Frauen, aber auch das
Außenstehenden unlogisch und unverständlich erscheinende Verhalten der
Gewaltopfer.
Auch Mina verschließt lange Zeit die Augen davor, wie
gefährlich Andreis ist. Selbst im Frauenhaus bricht sie den Kontakt nicht
wirklich ab, idealisiert die Vergangenheit und kehrt, allen Gefahren zum Trotz
sogar noch einmal in die heimische Villa zurück, damit ihr kleiner Sohn nicht
in einem geborgten Kinderwagen von schlechterer Qualität liegen muss und sie
ihre eigene schöne Unterwäsche tragen kann.
Mädchen, bist du denn
völlig meschugge? das möchte ich Mina als zunehmend gereizte Leserin
angesichts dieses Verhaltens am liebsten zurufen. Was es erfordert, erfolgreich
unterzutauchen, kapiert sie bis zum Schluss nicht – ein möglicherweise
realistischer aber auch ziemlich nerviger Zug.
Kein Wunder also, dass auch Nora, Leila und der Polizist
Thomas beim Schutz Minas gelegentlich überfordert sind – zumal ihnen auch noch
das Privatleben, Kinderbetreuung und Partnerschaftsprobleme einiges
abverlangen. In Rückblicken auf Andreis´ Kindheit in Bosnien wird zudem klarer,
warum der Mann so geworden ist, wie er ist.
Spannend, stellenweise düster und ohne Illusionen, aber
immerhin mit einer hoffnungsvollen Perspektive auf privater Ebene.
Viveca Sten, Flucht in die Schären
Kiepenheuer & Witsch 2018
464 Seiten, 15 Euro,
ISBN 978-3- 46205197-1
Comments
Post a Comment