Schatten der Vergangenheit
Der finnische Autor Arttu Tuominen, der eigentlich in seinem Brotberuf Ingenieur ist, war für mich eine echte Entdeckung. Seine Romane um eine Ermittlereinheit in der finnischen Stadt Poru knüpft an beste skandinavische Krimi-Traditionen an, verbindet den kritischen Blick auf die Gesellschaft mit Spannung und komplexen Charakteren und sind zudem gut geschrieben. Der jüngste Band, "Was wir nie verzeihen", bildet hier keine Ausnahme.
Diesmal geht es nicht nur um die privaten Nöte der bereits bekannten Ermittler mit zahlreichen Ecken und Kanten, sondern auch um die Aufarbeitung eines schwierigen Kapitels finnischer Vergangenheit. Die Beamten von Poru ermitteln zu einem Überfall auf den greisen Bewohner eines Altenheims. Der Mann ist deutlich über 90 Jahre alt, ein netter alter Herr. Wenig später wird ein anderer Greis entführt und ermordet. Gibt es eine Verbindung?
Der Leser weiß hier bald mehr als die Ermittler, denn in einer anderen Erzähl- und Zeitebene geht es in die Zeit des Zweiten Weltkriegs, um die finnischen Kämpfer, die nach dem Winterkrieg als Freiwillige der Waffen SS ins nationalsozialistische Deutschland ziehen. War der nette alte Finne, der in einem Pflegeheim überfallen wurde, Mitglied der SS? Und welche Geheimnisse hat er womöglich vor seiner Familie, ja vor allen, die ihn kannten, verborgen? Was hat er seinerzeit in der Sowjetunion an der Ostfront erlebt und wo ist er womöglich schuldig geworden?
Eigentlich ist schon sehr früh klar, nämlich als einer der Ermittler einen Autofahrer mit israelischen Papieren überprüft, dass hier alles nach einer Mossad-Aktion aussieht. Es geht um Rache an den Tätern, die zu Vollstreckern der Schoah wurden. Oder handelt es sich um eine Verwechslung, trifft es vielleicht einen, der zur falschen Zeit am falschen Ort war? Lange spielt "Was wir nicht verzeihen" mit Unwägsamkeiten und auch die Ermittler müssen sich fragen: Schützen sie womöglich einen Massenmörder, der grausamster Verbrechen schuldig ist? Wo liegt die Wahrheit und wer handelt im Namen der Gerechtigkeit? Gilt es, eine Legende zu zerstören, oder muss der Ruf eines anständigen Menschen gerettet werden? Auch die Ermittler geraten hier in ein moralisches Dilemma.
Tuominen hat einmal mehr Spannung mit einem komplexen Plot verbunden. Seine Protagonisten sind nicht perfekt, sie haben eine ganze Reihe von Schwächen und Problemen - aber gerade das macht sie menschlich und überzeugend. Hinzu kommen Fragestellungen nach Moral und Verantwortung, Schuld und Sühne. Tuominens Bücher sind spannend, gar keine Frage. Und darüber hinaus bieten sie eine Menge Stoff zum Nachdenken.
Arttu Tuominen, Was wir nie verzeihen
Bastei Lübbe 2023
399 Seiten 17 Euro
978-3-7857-2859-8
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